Mittwoch, 17. Juli 2013

Mein Freund Jonathan

Meine Schulter quält mich und ich bin ziemlich sicher, dass sie das mit Absicht macht. Deshalb hab ich mir Verstärkung in Form meines Freundes Jonathan geholt. Jonathan will aber nicht Jonathan genannt werden sondern Jonathan, klingt affig, ist aber so. Er hat Physiotherapie in Holland, pardon Niederlanden, studiert – behauptet er zumindest immer. Ich persönlich glaube ihm kein Wort und denke, er hat den ganzen Tag nur gekifft und seine Urkunde durch Erpressung bekommen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass dieser Typ studiert.

Als er ankommt öffnen wir das erste Bier und begutachten meine, wahrscheinlich, zertrümmerte Schulter. Auf dem Couchtisch liegt schon das Tomatenmesser zur Amputation oder Notschlachtung bereit. Es ist zwar ziemlich klein aber dafür verdammt stumpf.  Nachdem er sich das Unglück zehn Minuten angesehen und zwei Mal, auf äußerst schmerzhafte Weiße, rein gepikst hat, gibt er seine fachmännische und qualitativ äußerst wertvolle Diagnose ab: „Das sieht aber nicht gut aus!“
„Danke Professor, da hat sich das Studium aber richtig gelohnt“, entgegne ich gehässig, da ich mir doch etwas mehr erhofft hatte. Er übergeht die Gehässigkeit, zumindest verbal. Dafür pikst er nochmal.

Entgeistert sehe ich ihn an: „So gehst du immer mit deinen Patienten um oder?“
„Nur mit denen, die mich nicht bezahlen aber ist wohl ein Hämatom.“
Mir rutscht das Herz in die Hose, innerlich schreibe ich mein Testament, verabschiede mich von meinen Liebsten und will grade meinen Frieden mit Zuckerberg machen, als ich mich meiner Lehrstunden durch Dr. House und Scrubs entsinne.
„Das ist nur ein blauer Fleck?“
Piks. „Jap und jetzt hör auf zu jammern, wie ein Mädchen“
„Die oberste deutsche Tugend ist das Meckern und ich bin ein Mann und wenn Männer ein „Aui“ haben dürfen sie wehleidig sein. Das wird von uns erwartet! Ich nehme bloß meinen Platz in der Gesellschaft ein.“

Ich ningel also noch ein bisschen, bis es sogar mich nervt und wir beschließen, ein Brettspiel zu spielen – ja es war mal wieder die Sicherungsproblematik aber diesmal war es die Faulheit die uns im Weg stand.
Ich baue das Spiel auf. Er würfelt und fängt an einen Spielstein 4 Felder vorzurücken.
Mit ruhiger Stimme sage ich:
 „Alter:     1. Hast du eine drei gewürfelt, keine vier.
                2. Ist das mein Spielstein.
                3. Bin ich dran.
                4. Und das ist am aller wichtigsten: BEIM SCHACH WIRD NICHT GEWÜRFELT!!!
Die letzten Worte schreie ich fassungslos. Das schlimme an ihm ist, dass man nie weiß, ob er sowas Ernst meint oder ob er einen an der Nase herum führt. Da wir mittlerweile bei Bier Nummer 8 angekommen sind, ist es auch schwer sein, immer wieder entgleisendes Gesicht, zu deuten.
Er rümpft kurz die Nase und fegt dann mit den Worte: „Wenn du eigene Regeln erfindest macht es keinen Spaß“, völlig emotionslos,  alle Figuren vom Tisch. Verdattert guck ich ihn an. Piks. „Hör auf damit!“ Für so einen kleinen, schmächtigen Kerl hat er echt verdammt lange Affenarme.

Im Gegensatz zu dem, was Frauen behaupten,  haben Männer tatsächlich Gefühle, zum Beispiel Hunger. Deshalb machen wir uns etwas Buchstabensuppe warm und studieren beim Essen Ikea, wie er mit einem Brecheisen probiert die verklebten Teller voneinander zu lösen. Ein gar köstliches Unterfangen. Die Studie, nicht die Buchstabensuppe, die entsprach dem, was man bei einer aufgewärmten Buchstabensuppe erwartet, obwohl man an aufgewärmte Buchstabensuppe wohl am besten keine Erwartung hat, man wird ja sowieso nur enttäuscht. Als wir die Küche verlassen will er Ikea aufmunternd auf die Schulter klopfen, verfehlt aber auf Grund von inzwischen 12 Bier den Torso und räumt deshalb das komplette Gewürzregal ab und plötzlich steht Ikea in einer Gewürzwolke. Ich schiebe Jonathan durch die Tür, schließ sicherheitshalber die Küche ab und den gewürzten Ikea ein. So gepfeffert ist er einfach ungenießbar und ich habe jetzt größere Probleme als den wütenden Greisen, zum Beispiel meine Gummibeine, die alles machen wollen, außer das, was ich will. Eine Freundin hat an der Stelle mal gemeint: „Ich kann noch auf den Strich gehen“.  Der Alkohol lässt mich den rachsüchtigen Norweger auch direkt wieder vergessen.

 „ So, ich werde mir mal mein Fahrrad schnappen und nach Hause radeln.“ , lallt mein kleiner Kumpel und da wir den gleichen Pegel haben und damit quasi den gleichen Dialekt sprechen verstehe ich ihn sogar. „Du bist mit dem Auto da“, stelle ich fest. Überrascht von meinem eigenen Scharsinn lehne ich mich ganz cool an die Küchentür. „Na wenn das so ist, werde ich wohl auf deinem Sofa schlafen, wenn es genehm ist.“
„Ist genehm. Ich sollte auch ins Bett, ich hab schon das Gefühl, dass die Küchentür ganz zapplig ist.“ Angezogen wirft er sich auf das Sofa und ich auf mein Bett. Ich murmel noch:“Nacht“. Er grunzt noch „Ich muss kotzen“ und selig schlafen wir beide ein. Irgendwie mag das Ding vom Sofa.

Nächste Episode: "Mein Zimmer und der Zug"

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